625
und Formen eines asiatischen Druckes unterworfen. Der Zar war un-
umschränkter Herrscher über Leben und Eigenthum der Unterthanen.
Selbst die grundbesitzenden Klaffen konnten das freie Eigenthum in kei-
ner Weise geltend machen. Der Zar war auch gewissermaßen der ein-
zige Kaufmann, er übte ein Verkaufsrecht über sämmtliche in- und aus-
ländische Waren. Kein fremder Kaufmann durfte seine Waren an Andere
verkaufen, wenn der Zar erklärt hatte, daß er sie kaufen wolle. Der
Zar ließ in den einzelnen Provinzen die Waren, die in denselben pro-
ducirt wurden, zu niedrigen Preisen aufkaufen und verkaufte sie dann
mit ansehnlichem Aufschlag an die einheimischen wie fremden Handels,
leute. Außer den Regalien auf Branntwein, Meth, starkes Bier und
Getraide pflegte der Zar zu Zeiten auch solche Produkte seinem Monopol
zu unterwerfen, die für .ihn als Abgabe eingenommen wurden, wie Pelz-
werk, Wachs, tatarische Pferde, Leinwand u. s. w., so daß von diesen
Gegenständen niemand etwas verkaufen durfte, bis die kaiserlichen Vor-
räthe zu erhöhten Preisen abgesetzt waren. Da im Handel der red-
liche Gewinn geradezu unmöglich gemacht wurde, so waren unmorali-
sche Mittel und Wege bald allgemeine Nothwehr, und der Russen Trug
und Arglist war weltbekannt.
Der Stapelplatz des russischen Binnenhandels war Moskau, zu-
gleich auch der Markt für die südlichen Einfuhren, die zu Lande kamen.
Dahin brachten Greichen orientalische Luxuswaren, sie übergaben diesel-
den dem Zar als Geschenk, und dieser ließ sie abschätzen und gab ihnen
dafür Zobel und anderes Pelzwerk.
Der Barbarei, in welcher sich die russische Nation befand, wurde
sie durch den aufgeklärten Despotismus Peters I. entrissen. Die Ver-
bindung mit der Außenwelt über das weiße Meer war eine unnatürliche
Beschränkung, und deshalb strebte Peter nach dem Besitz der Ostsee-
länder. Durch Vermittlung holländischer Kaufleute in Moskau wurden
tüchtige Zimmerleute herbeigeschafft, Schiffswerften zuerst auf Flüs-
sen und Binnenseen, dann in Archangel errichtet. Brennende Wißbe-
gierde und unermüdliche Strebsamkeit trieben den jungen Fürsten, eine
Reise nach Holland und England zu unternehmen. In Begleitung aus-
gezeichneter Lehrkräfte, für deren Gewinnung er kein Opfer scheute,
kehrte er in sein Reich zurück, um mit ihnen das Werk der Reform zu
beginnen. Um den Russen die Ostsee zu öffnen, begann Peter den
Krieg mit Karl Xii. An der äußersten westlichen Grenze des Reiches,
gewissermaßen noch auf fremdem Grund und Boden baute er die neue
Hauptstadt; sie sollte die Bildungssormen des Westens annehmen und
gleichsam das Thor sein, durch welches europäische Bildung und Ge-
sittung in Rußland einzögen. Die Schlacht bei Pultawa (1709)
entschied das Schicksal des Nordens, sie befestigte die Schöpfung Peters
und stürzte die Größe Schwedens. In kurzer Zeit war Petersburg
nicht nur die glänzende Residenz, sondern auch die blühendste Handels-
stadt Rußlands. Um den Handel in Petersburg zu konzentri-
ren, erging der Befehl, daß alle Kaufleute aus den umliegenden Pro-
vinzen ihre Waren nach der neuen Hauptstadt führen sollten. Hanf und
Juchten durften nur über Petersburg ausgeführt werden. Die angese-
hensten Kaufleute von Archangel erhielten den Befehl nach Petersburg
überzusiedeln. Von sämmtlichen russischen Produkten sollten zwei Drittel
40
TM Hauptwörter (50): [T40: [Polen Ungarn Land Rußland Preußen Stadt Donau Provinz Hauptstadt Königreich], T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Zobel Peter Peter Karl_Xii Karl Peters
Extrahierte Ortsnamen: Moskau Moskau Holland England Schwedens Petersburg Petersburg Petersburg Petersburg
712
als sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen." Robespierre schlug aber
den Widerspruch durch die Bemerkung nieder: „Nur Verschwörer haben
die als übermäßig beklagte Strenge des Gesetzes zu fürchten."
Durch die zunehmende, mit den ärgsten Schamlosigkeiten verbun-
dene Strenge der Wächter, durch Mangel an Nahrung, durch Ver-
pesttmg der Ltift und die tägliche Todesangst wurde daß Elend der
Gefangenen allmälig so groß, daß mehrere Personen sich aus den
Fenstern stürzten, andere sich herbeidrängten und sehnsüchtig wünschten,
ihren Namen zu hören, wenn die Liste der zur Guillotine Gerufenen
verlesen wurde. Den noch nicht Verhafteten wurde die Wahrschein-
lichkeit, daß auch ihnen Verhaftung und Tod bevorstehe, zur entsetzlichen
Qual. Das Gesetz des Maximums hatte Paris einer ausgehungerten
Stadt ähnlich gemacht. Die Hausthüren der Bäcker, Fleischer und Ver-
käufer von Lebensmitteln waren schon vor Anbruch des Tages mit Wei-
bern und Kindern besetzt. Nur die Todesfurcht zwang die Kaufleute zudem
verlustvollen Verkauf. Bei Todesstrafe war ihnen befohlen, ein Ver-
zeichniß aller ihrer Waren mit genauer Angabe des Vorraths und der
Beschaffenheit an der Thür auszuhängen. Die Landleute brachten
mit Zittern ihre Erzeugnisse zur Stadt. Aus den Straßen und von
den öffentlichen Plätzen war alles Getümmel verschwunden; man sah
keine Reiter und glänzenden Wagen mehr; man fürchtete sich, wie zur
Zeit einer ansteckenden Seuche, mit einander zu reden. An den meisten
Palästen las man die Inschrift: „Nationalgut"; die in Furcht schweben-
den Eigenthümer anderer Häuser suchten durch Inschriften wie: „Frei-
heit, Gleichheit, Brüderschaft oder Tod! Tod den Tyrannen und ihren
Genoffen", ihren Bürgersinn zu beweisen. Die dumpfe Stille wurde
nur unterbrochen in dem Augenblicke, wo die Verurtheilten vorüberfuh.
ren; da stürzte eine Menge Menschen nach der Richtung hin, während
andere sich eiligst entfernten. Man vermied im Aeußeren den Schein
der Wohlhabenheit und betrachtete das Gewand der Armuth für eine
Sicherheitskarte. Jede Zusammenkunft in Privatkreisen war verboten.
Man wagte nicht, einen Freund oder Anverwandten in seinem Hause
aufzunehmen, wenn er nicht mit einer Bescheinigung seines Bürgersinns
versehen war; denn die Verweigerung einer solchen Bescheinigung galt
schon einem Verhaftungsbefehl gleich. Nur die Schauspielhäuser waren
immer gefüllt, in ihnen glaubte man auf kurze Zeit der Wachsamkeit der
Tyrannen zu entgehen. In der Nacht steigerte die geänstigte Einbil-
dungßkcaft Angst und Schrecken; beim geringsten Geräusch vor der Thür,
beim Halten eines Wagens, bei einem Schlage des Klopfers erstarrte
das Blut in den Adern; Frarl und Kinder scbmiegten sich ängstlich an
den Vater; es mußte das Zeichen einer Haussuchung oder Verhaftung
sein; denn nur Genßdarmen waren des Nachts auf der Straße.
Die Barrieren von Paris waren nur für diejenigen offen, welche
herein kamen, aber allen verschlossen, welche das Entsetzen von dannen
trieb. Ein Paßgesuch mußte bei einem revolutionären Ausschuß ange-
bracht werden und war mit Lebensgefahr verbunden; der Paß mußte
dann noch von der Commune visirt werden, und außerhalb Paris mußte
der Reisende in jeder Stadt, in jedem Dorfe vor den revolutionären
Ausschüssen und Jakobinerklubs sich stellen und sich ausfragen lassen.
War jemand endlich, nach Ueberwindung aller Schwierigkeiten, dem
TM Hauptwörter (50): [T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland], T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T5: [Haus Tag Kind Hand Herr Tisch Mann Fenster Wagen Pferd]]
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318
ausüben zu lassen, nur so, daß derselbe vom Könige die Belehnung
mit dem Blutbanne nachsuchen mußte. Auf dieser Grundlage wur-
den die Verfassungen der einzelnen Städte weiter ausgebildet, in-
dem neben dem bischöflichen Vogt (S. 167) auch noch andere bi-
schöfliche Beamte, Schultheiße, Burggrafen, Stadtvögte,
Stiftsvögte und andere erwählt wurden. Diese Aemter wur-
den in manchen Städten ritterlichen Geschlechtern zu Lehn gegeben.
Andere bischöfliche Beamten waren der Zöllner, der auch die Maße
und Gewichte zu zeichnen, und der Münzmeister, der auch über
falsche Münze zu richten hatte. Mit diesen Aemtern waren man-
cherlei Gebühren, Einkünfte und Lasten verbunden.
Nach der alten Verfassung mußten die Freien dreimal jährlich
das ungebotene Gauthing (S. 44 und 194) besuchen. Dieses dauerte
für die Freien der Stadt fort; nur wurden diese Versammlun-
gen jetzt statt vom Grafen vom Vogt oder vom Burggrafen gehal-
ten. Unter den Freien bildeten die Schöffenbaren (S. 194) ei-
nen engeren Kreis, welcher durch die Behauptung der ihm überlie-
ferten Rechte allmälig die Gestalt der ersten und ältesten Gilde an-
nahm. Sie halte ihre Vorsteher (Rectoren), ihre Versammlungen
und bildete eine Fraternität oder Verbrüderung. Ferner hatte sich
überall in den Städten als Bestandtheil der Gerichtsverfassung die
Schöffeneinrichtung erhalten. Als vereidete Vertreter der Gemeinde
erhoben sie sich aber auch zu einem Rathscollegium für städtische
Angelegenheiteu und wurden davon zuweilen Senatoren genannt.
Zur Handhabung der dem Bischöfe über Markt, Handel und Ge-
werbe zustehenden Aufsicht wurden die verschiedenen Gewerbe,
Sattler, Kürschner, Handschuhmacher, Schmiede, Müller, Kiefer,
Schwertfeger, Höcker, Weinwirthe und andere abgetheilt und jede
Abtheilung unter einen Magister gestellt. Diese Gewerbe, die Kauf-
leute und die übrigen Einwohner hatten dem Bischof zu einem
Kriegszug, zum Besuch des königlichen Hoflagers, zum Unterhalt
des bischöflichen Palastes und zu anderen Zwecken mancherlei genau
bestimmte Abgaben, Lieferungen und Dienste zu entrichten. Neben
den gemeinen Freien lebten in der Stadt die freien und unfreien
Grund holden des Stiftes und andrer geistlichen Anstalten und
waren noch den besonderen grundherrlichen Lasten, dem Sterbefall
und anderen Beschränkungen unterworfen. Durch kaiserliche Privi-
legien wurden aber die Städte häufig von diesen Beschränkungen
befreit und ihre Einwohner dadurch zu einer mehr gleichartigen
Masse gemacht.
Die Regierung durch herrschaftliche Beamte, etwa nur mit
Vertretung durch Schöffen, befriedigte aber die aufstrebenden Bür-
gerschaften auf die Dauer nicht. Es entstanden in den Städten zur
Wahrung der gemeinschaftlichen Interessen enge Verbrüderun-
gen. Die Bürger benutzten günstige Umstände, um aus der Bür-
gerschaft ein Collegium von Nathmannen (consules) einzu-
setzen und demselben bestimmte Vollmachten für die Verwaltung der
städtischen Angelegenheiten beizulegen. In Köln erlangten die Bür-
ger schon das Recht, neben den Schöffen noch andere Männer in
den Rath zu wählen. Aehnliches geschah später in anderen Städ-
ten. Eine wichtige Gilde entstand aus den Münzern oder Haus-
TM Hauptwörter (50): [T26: [Recht König Stadt Staat Bauer Gesetz Beamter Adel Land Bürger]]
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TM Hauptwörter (200): [T99: [Stadt Verwaltung Provinz Gemeinde Beamter Kreis König Spitze Land Angelegenheit], T154: [Meister Handwerker Geselle Arbeit Lehrling Handwerk Arbeiter Jahr Kaufleute Stadt]]
321
Gründung und das Aufblühen der Städte übten jedoch einen grö-
ßeren Einfluß aus auf Handel und Gewerbe, als auf die Land-
wirthschaft. Diese empfand zwar den steigenden Einfluß des Ver-
kehrs insofern, als der Bedarf der Lebensbedürfnisse stieg, aber den
Nutzen davon hatte nicht der Landmann, sondern dessen Grundherr.
Dieser, auf Herrschaft und Fehden bedacht, schätzte die friedlichen
Beschäftigungen und den langsamen Erwerb des Fleißes gering und
verschmähte es, die Bodenkultur in gleichem Fortschritt mit Handel
und Gewerbe zu erhalten. Der unfreie Bauer hatte weder die Mit-
tel, noch ein Interesse an der Hebung des ihm nicht eigenen Gu-
tes. So erscheint die Landwirthschaft lange Zeit nur als ein Noth-
behelf für die unentbehrlichsten Bedürfnisse des Lebens ohne gedeih-
liche Pflege und Fortbildung. Der Bauernstand ist gedrückt
und gefesselt; ein deutsches Volksleben entwickelt sich nur im Bür-
gerstand und nur aus dem Handel und den Gewerben entsprießen
die Blüthen politischer Freiheit und Gleichberechtigung.
Die Gewerbe hingegen bildeten sich mehr und mehr als selb-
ständiger Stand aus, trennten sich von der Betreibung der Land-
wirthschaft und begaben sich in die Städte, welche zahlreich gegrün-
det, von den Kaisern mit werthvollen Rechten und Freiheiten aus-
gestattet wurden und sich so nach und nach zu selbständigen Gemein-
den erhoben. Es vermehrten sich die Gegenstände des Eigenhan-
dels; doch gewinnt dieser erst seit dem dreizehnten Jahrhundert,
wo die großen Städtebündnisse sich bilden, an Umfang und Bedeu-
tung. Wollene Zeuge und Leinwand deutscher Fabrikation
gingen die Donau abwärts nach dem Orient, auch über die Alpen
nach Italien, am meisten aber nach dem Norden, nach Skandina-
vien und England; periodenweise wurde Getraide, wenigstens in
das erstere Land geschickt, und Rheinwein kam bereits zur Aus-
fuhr. In den Orient gingen ferner Waffen und Kriegsgerä-
the, in welchen sich die lütticher Gegend frühzeitig auszeichnete.
Man hüte sich indeß, den deutschen Gewerbszuständen dieser Pe-
riode zu großes Gewicht beizulegen. Der Handwerker galt anfangs
in Deutschland kaum etwas mehr, als ein Leibeigener, und konnte
sich nur langsamer, als der Kaufmann, zu freier selbständiger Stel-
lung emporarbeiten. Die ältesten Handwerker, welche als freie Leute
um Lohn arbeiteten, waren die Goldschmiede, wahrscheinlich weil
sie damit zugleich Geld - und Leihgeschäfte verbanden. Durch kai-
serliche Privilegien wurde im zwölften und dreizehnten Jahrhun-
dert allen Stadtbewohnern, es mochten Handwerker, Ackersleute,
oder was sonst sein, das Bürgerrecht ertheilt. Nun entstanden
Zünfte und Handwerksordnungen. Die Lein- und Wollenwe-
der thaten sich bald so hervor, daß Balduin Iii. von Flandern um
das Jahr 960 viele von ihnen durch glänzende Versprechungen in
sein Land hinüberzog und dadurch die niederländische Tuchmanu-
faktur hob. Dem Gewerbwesen der oberdeutschen Städte brachte
die Nachbarschaft Italiens ansehnliche Vortheile; geschickte Arbei-
ter wanderten von dorther ein, und zumal in allen den Beschäf-
tigungen, welche mit der Kunst verwandt waren, behaupteten die
oberdeutschen Städte einen ausgezeichneten Rang. Dagegen wendete
sich die große, für die Masse arbeitende Industrie schon damals mehr
21
TM Hauptwörter (50): [T39: [Jahr Million Geld Mark Arbeiter Arbeit Zeit Summe Staat Thaler], T29: [Handel Industrie Land Ackerbau Fabrik Stadt Deutschland Mill Viehzucht Gewerbe], T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte]]
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Extrahierte Personennamen: Balduin
Extrahierte Ortsnamen: Donau Italien England Deutschland Italiens
559
griechischen und römischen Literatur verbreitete, übten die Gelehrten
die lateinische Poesie und verachteten die eigene Muttersprache. Die
lateinische Poesie herrschte drei Jahrhunderte lang mit schönen Phrasen.
Die mittelhochdeutsche Sprache, welche sich im 12. und 13.
Jahrhundert zur Sprache der deutschen Poesie erhoben hatte, be-
hauptete ihre ausschließliche Herrschaft nicht, sie vergröberte sich,
das Niederdeutsche drängte sich wieder mehr hervor, es mischten sich
die provinziellen Mundarten in einander. In den Worten wankte
die Betonung, in den Verszeilen das Maß, die Reime wurden nicht
mehr rein gehalten und man suchte sie durch Verrenkungen der
Worte und Satzbildung zu erzwingen. Noch zeigte sich ein gewis-
ses Interesse an den alten Heldensagen; sie wurden noch abgeschrie-
den und durch den Druck vervielfältigt; auch wurden sie, freilich
ohne Sinn für die Schönheiten des Originals, umgedichtet und
überarbeitet. So z. B. wurden von einem fränkischen Volksdichter
oder Bänkelsänger, Kaspar von der Roen, die Sagen von
Dietrich überarbeitet und zu einem Ganzen verbunden, welches man
das Helden buch genannt hat. Ein baierischer Dichter, Ulrich
Fürterer, ein ganz roher Reimer, dichtete die Artussage um.
Andere alte Sagen wurden in Prosa bearbeitet. Sehr reich ist
diese Zeit an einzelnen Erzählungen; man griff gern nach dem
Wunderbaren, Seltsamen und Fernliegenden und liebte besonders
die allegorische Einkleidung. Von diesen allegorischen Gedichten
erwähnen wir nur den Theuerdank, welcher die Vermählung
Maximilians mit Marie von Burgund erzählt. Die Erfindung und
vielleicht auch ein Theil der Ausführung gehört Maximilian selbst
an, die weitere Ausführung seinem Kaplan Melchior Pfinzing. An
gereimten Chroniken war kein Mangel. Auch waren die Legenden
ein beliebter Lesestoff. Es gab sowohl ganze Sammlungen, als
Aufzeichnungen einzelner. Daran reihen sich dann eine Menge Ro-
mane und Novellen, die im 15. Jahrhundert an die Stelle der al-
ten Rittergedichle traten.
Die Minnepoesie dauerte zwar, von einzelnen ritterlichen Sän-
gern gepflegt, bis ins 15le Jahrhundert fort, aber im Ganzen ge-
rieth die Kunstlyrik aus den Händen der Ritter in die der Meister,
in die Hände der Bürger. Der Minnegesang wurde Meisterge-
sang, der nach festen Regeln schulmäßig geübt wurde. Frauenlob
oder Heinrich von Meißen (S. 468) galt für den Stifter der älte-
sten, mainzer Sängerschule. Doch ist nur gewiß, daß in der Mitte
des 15. Jahrhunderts diese Singschulen bestanden, vorzüglich in süd-
deutschen Städten, in Mainz, Augsburg, Nürnberg, Ulm und an
andern Orten. Die ehrbaren Bürger traten zu einer Gesellschaft
zusammen und übten sittlich und fromm ihre Kunst als eine vor-
zugsweise heiligen Zwecken gewidmete. Diese Sängergesellschaften
zeigen uns die strenge Ehrbarkeit, die stille Genügsamkeit und treue
Einigkeit des deutschen Bürgerstandes. Sonntags Nachmittags nach
dem Gottesdienst wurde Schule gesungen, auf dem Rathhause oder
in der Kirche. Da versammelten sich die Meister der Sängergesell-
schaft, die Schüler derselben und ein zahlreicher Kreis von Bürgern
und Bürgerinnen, und die Meister trugen ihre neu erfundenen
Töne, neue Gedichte in künstlicher Reimverschlingung, vor, und ein
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T1: [Geschichte Dichter Zeit Buch Werk Jahr Gedicht Nr. Bild Geographie]]
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Extrahierte Personennamen: Kaspar Ulrich
Fürterer Reimer Maximilians Marie_von_Burgund Maximilian Maximilian Melchior_Pfinzing Heinrich_von_Meißen Heinrich
494
Die Hanse.
schen Verwaltung und Regierung, die alte adlige Stadtgeschlechter,
Patricier genannt, die Nachkommen der ursprünglichen und freien
Gründer der Orte, innehatten. Die späteren Einwanderer bildeten
bei dem raschen Wachsthum der Städte im 12. und 13. Jahrhun-
dert die größere Mehrzahl der Bewohner. Als nun die Gewerb-
treibenden durch ihre Vereinigungen zu Zünften und Innungen er-
starkten, widersetzten sie sich den Patriciern mit aller Kraft und ver-
suchten auf friedlichem Wege oder durch Gewalt Theilnahme an der
Regierung und Verwaltung der Stadt zu erringen. In den meisten
Städten gelang es in dieser Zeit den Zünften ihre Absichten zu er-
reichen und die bisher ausschließlich rathsfähigen Patricier, welche
meistens Großhandel trieben, zu beschränken. Entweder wurde in
dem bisherigen Rath eine gewisse Zahl von Rathsstellen mit Hand-
werkern besetzt, oder eine eigene Abtheilung derselben gebildet, oder
es wurde die ganze Verfassung auf die Eintheilung der Bürger in
Zünfte gegründet und jeder Bürger mußte sich einer Zunft anschlie-
ßen, wenn er auch seinem Gewerbe nach zu keiner Zunft gehörte.
An manchen Orten wurden auch die Patricier ganz aus der Stadt
vertrieben. Diese inneren Umgestaltungen finden theils in der rasch
wachsenden Volksmenge und dem zunehmenden Wohlstände der
Städte ihre Erklärung, theils aber auch in den Anstrengungen ver-
einter Kraft, welche die Bürger gegen die Verwilderung des Adels
machen mußten. Das Fehderecht war zum Faustrecht entartet. Aus
dem Hinterhalt fiel der Adel mit seinen wilden Gefährten über die
Wagen und Schiffe der Kaufleute her und brach plündernd in die
Marken der Städte ein. Aber auf das Zeichen der Sturmglocke
bewaffneten sich die Bürger; die Handwerker zogen aus mit Arm-
brüsten und Lanzen bewaffnet, die Kaufleute zu Pferde und die
Patricier, der Ritterwürde fähig, in schwerer Rüstung. Die Raub-
burgen wurden erstiegen und zerstört, und die adeligen Räuber,
wenn sie den Erbitterten in die Hände fielen, wie gemeine Verbre-
cher behandelt. Reichte die Macht der einzelnen Städte nicht hin,
ihren Handel in weiteren Umkreisen zu schützen, so traten sie in
Einungen oder Genossenschaften zusammen.
Die bereits angeführten Städtebündniffe erstreckten sich über die
südwestlichen Gegenden des Reiches; der Norden hingegen ging sei-
nen selbständigen Weg der Entwickelung. Hier haben wir das han-
seatische Städtebündniß oder die Hanse zu erwähnen, wel-
ches in Niederdeutschland und in den eroberten wendischen Ländern
östlich von der Elbe und Oder seinen Sitz hatte. In Oberdeutsch-
land, am Rhein und an der Donau, wo mit Italien häufige Be-
rührungen stattfanden, die Bevölkerung dichter, die Städte zahlrei-
cher und bereits in früher Zeit gegründet waren, gelang es den
Städten früher sich von dem Drucke ihres Landesherrn frei zu ma-
chen. Sie wurden in großer Anzahl reichsunmittelbar d. h. der
Sache nach so viel als unabhängig, wenn sie auch dem Rechte nach
dem Kaiser zur Unterthänigkeit verpflichtet waren. In Niederdeulsch-
land, wo von jeher die Landesherren ein weiteres Territorium be-
herrschten und ihre Macht eifersüchtig wahrten, war das kaiserliche
Ansehen seit den Hohenstaufen so gut wie dahin, und von dem Kai-
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tüchtige und fleißige Primaner, sich viel weniger für die politische
Geschichte als für die Kulturgeschichte interessiren. So groß auch
bei den Studirenden auf der Universität das Interesse für Politik
und politische Geschichte, oder vielleicht richtiger für politische Er-
scheinungen der neuesten Zeit sein mag, so gering ist es in der
Regel noch bei Gymnasiasten. Daß Zeiten politischer Erregtheit,
wie das Jahr 1848 und selbst die Gegenwart, davon eine Aus-
nahme machen, gebe ich gern zu. Die politische Geschichte beschäf-
tigt mehr den Verstand, und zur Würdigung politischer Erschei-
nungen gehört eine gewisse Reife des Urtheils und Kenntniß des
Lebens, während die ausgezeichneten Leistungen der Kunst und auch
der Wissenschaft in ihrer Bedeutsamkeit viel anschaulicher hervortre-
ten und Herz und Phantasie viel mächtiger anregen. In dem Al-
ter aber, in welchem die meisten Gymnasiasten stehen, ist das Ge-
müth und die Phantasie thätiger und lebendiger als der Verstand;
erst in den reiferen Jahren erlangt das ruhige Nachdenken und die
Reflexion die Oberhand. Je mehr nun die meisten Gegenstände
des Unterrichts, wie mir es scheint, etwas zu einseitig, auf die
Ausbildung des Verstandes berechnet sind, oder wenigstens so be-
trieben werden, daß sie diesen vorzugsweise beschäftigen, je mehr
Theilnahme beweisen junge Leute für solche Gegenstände, welche
ihrer Individualität angemessener sind, welche ihrer leicht erregbaren
Phantasie und ihrem warmen Herzen eine erfreuliche Nahrung ge-
den. Man erwäge aber auch noch Folgendes. Junge Leute ken-
nen natürlich das Leben noch nicht, sie sind aber von einem großen
Drange nicht nur nach wissenschaftlicher Ausbildung, sondern auch
nach Kenntniß des Lebens und der sie umgebenden Erscheinungen
erfüllt. In ruhigen Zeiten tritt aber die Wirksamkeit des Staats-
organismus weniger hervor, und wenn das einmal der Fall ist, so
geschieht es gewöhnlich auf eine Weise, daß dadurch die ideale Be-
geisterung junger Leute nicht erregt wird. Das Verständniß des
Staatsorganismus ist für Gymnasiasten sehr schwierig; die Regie-
rung und Verwaltung eines Landes hat nicht die Faßlichkeit, An-
schaulichkeit und Idealität wie die großen Erscheinungen der Kunst,
der Literatur, des Handels und der Gewerbe. Die Leistungen auf
diesen Gebieten menschlicher Thätigkeit treten überall im Leben dem
Jüngling entgegen, sie erregen seine Aufmerksamkeit, seine Neugier
TM Hauptwörter (50): [T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
TM Hauptwörter (100): [T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T3: [Lage Karte Land Europa Geographie Klima Größe Verhältnis Grenze Gliederung], T25: [Wissenschaft Kunst Zeit Sprache Geschichte Schrift Buch Werk Jahrhundert Erfindung]]
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506
Kunst, Han-
del, Hand-
werke /Acker-
bau.
Jamilien-
verhältniffe.
gurn war, erst später sich zu einer mehr mathematischen Wissen-
schaft umbildete. Eine andere religiöse geheime Wissenschaft war
die der Pontifices, welche in der Kenntniß des geistlichen Rechtes,
des Rituals, der Opfer und Feste, der Eintheilung des Jahres und
der Bedeutung der -einzelnen Tage bestand. Auch diese Kenntnisse
wurden von Numa hergeleitet In den Schriften der Pontifices
war auch das bürgerliche Recht aufgezeichnet.
Die Privatwohnungen waren lange sehr einfach, und erst seit
Tarquinius Priscus, nach der Bekanntschaft mit etruskischen Bau-
meistern wurden in Rom schöne öffentliche Gebäude aufgeführt. Die
plastische Kunst wurde den Römern ebenfalls erst seit dieser Zeit
durch etruskische Künstler bekannt; sie beschäftigte sich zuerst mit der
Darstellung kolossaler Götterstatuen aus Thon und Holz. Die
Quadriga aus Thon auf dem kapitolinischen Tempel und Jupiters
thöuerne Statue in jenem Tempel waren Werke etruskischer Künstler.
Der im Jahre 509 v. Chr. zwischen Rom und Karthago ge-
schlossene Handelsvertrag beweist, daß die Römer schon ftühzeitig
Seehandel getrieben haben, theils um die Erzeugnisse ihres Acker-
baues, Getraide, Oel und Wein, abzusetzen, theils um die Produtte
anderer Lander nach Rom zu bringen. Die Handwerke wurden in
den reicheren Familien von Sklaven, für die Bedürfnisse der ärmeren
Bürger besonders von Klienten und Freigelassenen betrieben. Die
Gewerbe waren im Gegensatz zum Landbau verachtet. Schon Ru-
ma soll die Gewerbtreibenden in neun Innungen vereinigt haben,
in die der Flötenbläser, Goldschmiede, Zimmcrleute, Färber, Riemer,
Gerber, Kupfer- und Eisenschmiede, Töpfer, und eine neunte Innung
für die in den genannten Innungen nicht begriffenen Handwerke.
Der Landbau war der einem Römer geziemende und ehrenvolle Er-
werbszweig; auf Ackerbau und Viehzucht beruhte das ganze Leben
der ältesten Zeit; mit diesen Beschäftigungen hingen die Religion
und die heiligsten Gebräuche eng zusammen und zu deren Schutz
waren die ältesten Gesetze gegeben. In der ältesten Zeit waren
Ackerbau und Viehzucht noch üicht so getrennt wie in der späteren,
da die kleinen Ackerloose allein zur Erhaltung einer Familie nicht
hinreichten. Diese kleinen Länder der ärmeren Bürger wurden mit
großer Sorgfalt angebaut und wohl mehr wie Gärten als wie Fel-
der benutzt. Der Gartenbau wurde schon frühzeitig in Rom eifrig
betrieben.
Das Recht, eine für beide Ehegatten und ihre Kinder rechts-
gültige Ehe einzugehen, hieß Connubium. Dieses besaßen in der
ältesten Zeit nur die Patricier, und bis auf das Gesetz des Canule-
jus (445 v. Chr.) bestand selbst zwischen Patriciern und Plebejern
kein Connubium. Verbindungen mit Frauen aus einem anderen
Volke waren nur dann rechtlich gültig, wenn zwischen den Römern
und diesem Volke Connubium eingegangen worden war; außerdem
erkannte das römische Civilrecht solche Ehe nur als natürliche
Ehen an. Die Ehe begründete eine Gemeinschaft aller Lebensver-
hältnisse und war in Beziehung auf die Stellung der Frau zu ihrem
Manne eine doppelte, entweder eine strenge Ehe, durch welche die
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Extrahierte Personennamen: Riemer
Extrahierte Ortsnamen: Rom Jupiters Rom Karthago Rom Rom Canule-
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Brahmanen, die der zweiten oder der Krieger-Kaste Latrija's, die
der dritten, welche Viehzucht, Ackerbau und Handel treiben, Wai-
scha's, die der vierten, der gewerbtreibcnden oder dienenden Kaste,
Sudra's. Nur die Mitglieder der drei höheren Kasten sind arische
Inder, die Sudra's hingegen die unterworfenen Urbewohner des
Landes. Die Rangordnung und Absonderung der drei höheren Ka-
sten hat sich allmälig durch Gewohnheit und Sitte, wenn auch nicht
ohne Kämpfe, gebildet und ist erst später durch Religion und Gesetz
festgestellt worden. In der ältesten Zeit bestanden keine Kasten, in
den Veda's werden sie gar nicht genannt. Erwähnt wird aber die
höhere Befähigung des Purohita zu der Anbetung der Götter, der
Verrichtung der Qpfer und der Vermittlung der Gunst der Götter.
Purohita bedeutet ein bei dem Opfer vorangestellter, und in
der frühern Zeit traten einzelne Männer als hierzu vorzüglich be-
fähigte auf, es war aber keine besondere Würde. In den Veda's
finden sich auch schon Andeutungen, daß sich die arischen Inder als
herrschendes Volk einem unterworfenen gegenüber bezeichnen. Nach-
dem die arischen Inder sich in Besitz der weiten Gebiete des inne-
ren Landes zwischen dem Himalaja und dem Vindhja, an den Ufern
der Jamuna und der Ganga gesetzt hatten, mußte sich ihr Leben
in seinen verschiedenen Aeußerungen allmälig anders gestalten. Diese
vollendete Gestalt stellt uns das Gesetzbuch des Manu dar, in wel-
chem die religiöse, die politische und die bürgerliche Verfassung mit
ihren Gesetzen für die einzelnen Kasten als schon abgeschlossen uns
vorliegt. Die Entstehung der Kasten steht im engsten Zusammen-
hange mit den neuen Richtungen des Lebens, welche die Inder in
ihren neuen Wohnsitzen einschlugen. Die Würde des Purohita
wurde ein förmliches Amt. Er war der Hauspriester des Königs,
er wurde bei allen Angelegenheiten zu Rathe gezogen und erwarb
sich bei einem so frommen Volke, wie die alten Inder, bald eine
geistige Herrschaft über den Willen des Königs. Der erste Fort-
schritt zur Entstehung der Kasten war, daß das Amt des Purohita
ein erbliches wurde. Der Name der sich allmälig bildenden Prie-
sterkaste wurde von dem Brahmana entlehnt. Brahma oder Brah-
mana bezeichnet den, der das Gebet an die Götter spricht. Er
hatte die Leitung und Oberaufsicht über das Opfer. Aus der hohen
Bedeutung, welche allmälig die Opfer erhielten, und aus der wich-
tigen Stelle, welche der Brabmaua bei dem Opfer einnahm, erklärt
sich die Anwendung seines Namens auf die ganze Kaste. Dazukam
noch, daß gewisse Geschlechter durch ihre Lieder berühmt waren und
daß sie dadurch bei der Einrichtung des Kultus, bei welchem diese
benutzt wurden, einen besonderen Einfluß ausübten. Es wurden
zum liturgischen Zwecke Sammlungen von Liedern veranstaltet, und
dadurch Schulen veranlaßt, welche sich in die Ueberlieferung der ge-
sammelten Texte theilten und sich der Erklärung derselben widmeten.
In ihnen trat ein neues Band zwischen den Mitgliedern ein; es
waren nicht mehr Leute desselben Geschlechts, sondern Lehrer und
Schüler, und die heiligen Schriften und ihr Verständniß wurden
dadurch ein Gemeingut aller die sich diesen Bestrebungen Hingaben,
aber auch dieser ausschließlich. Aus diesem Verhältnisse des aus-
schließlichen Besitzes der heiligen Bücher und der Kenntniß derselben,
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auf welche die richtige Verrichtung der Opfer gegründet war, scheint
sich die Absonderung der Brahmaneu als eine besondere Kaste am
einfachsten erklären zu lassen. Es mußte ihr Interesse sein, die an-
deren Stande von diesem Besitze auszuschließen, und sie benutzten
zu diesem Zwecke das hohe Ansehen und den großen Einfluß, den
sie sich erworben hatten. Sie wurden von den Königen reichlich
für ihre Leistungen belohnt und gewannen dadurch eine äußere Un-
abhängigkeit. Das Eigenthum der Brahmanen war geheiligt. Die
Brahmanen haben nicht ohne Kämpfe ihren Vorrang errungen und
erst allmälig hat sich die vollständige Absonderung des Priesterstan-
des von dem des Königs und des Kriegers vollzogen. Das Gesetz-
buch stellt die vollendete Unterwürfigkeit der Könige unter die Macht
der Brahmanen dar. Wenn in der ältesten Zeit die Könige aus
freiem Willen die Priester für die Verrichtung der Opfer beschenk-
ten, so war es in dem geordneten indischen Staate ihre Pflicht ge-
worden, dieses zu thun. Die Gaben bestanden vorzugsweise in
Kühen, jedoch auch in Schätzen. Die Brahmanen, auf solche Weise
von den Königen geehrt, belohnt und beschützt, konnten sich in un-
gestörter Ruhe ihren Beschäftigungen und Neigungen hingeben. Da
sie an den Kämpfen keinen Antheil nahmen, vermehrten sich ihre
Geschlechter sehr, und auch dadurch wurde ihre Macht und ihr Ein-
fluß vergrößert. Der Beruf der Brahmanen ist das Lesen und Er-
klären der heiligen Schriften und die gottesdienstlichen Verrichtungen.
Sie sind nicht allein Priester, sondern auch Lehrer, Aerzte, Gesetz-
kundige und Räthe des Königs. Ihr ganzes tägliches Leben ist an
ein strenges und zeitraubendes Ritual gebunden, und sic müssen
jede Vernachlässigung durch harte Büßungen wieder gut machen.
Ihr Wandel soll tadellos sein, sie müssen fasten, beten und sich
häufig waschen; dürfen, außer zu einem Opfer, kein Geschöpf töden,
nichts vom Thiere Kommendes, höchstens geweihtes Opferfleisch, ge-
nießen und mit niemandem ans einer andern Kaste essen. Ihre
Ländereien waren, so lange Indien unabhängig war, von Abgaben
frei, die Brahmanen haben das Recht Almosen anzunehmen, wäh-
rend die andern Kasten nur Almosen geben dürfen. Alle anderen
Kasten müssen den Brahmanen die höchste Ehrerbietung, ja Unter-
würfigkeit beweisen; deren Personen werden als heilig und unverletz-
lich betrachtet. Einen Brahmanen darf der König nicht hinrichten
lassen, sondern kann ihn nur aus seinem Reiche verbannen, aber
mit Sicherung von dessen Eigenthum. Die Brahmanen zerfallen
nach ihrer Abkunft in verschiedene Klassen, und die größte Ehrer-
bietung wird denjenigen erwiesen, welche sich die Erklärung der
Veda's zu ihrem Hauptberufe erwählt haben. Nach dem Gesetzbuche
des Manu soll der Brahmane, wenn er Runzeln, graue Haare
und Nachkommenschaft seiner Nachkommenschaft erblickt, aus dem
Dorfe in den Wald ziehen. Er tritt dann in das dritte der vier
Stadien des Lebens und wird Waldbewohner. Er nimmt das hei-
lige Feuer mit und lebt von Früchten, Wurzeln und Wasser, ge-
kleidet in ein Kleid von Rinde oder dem Felle einer schwarzen Ga-
zelle, die fünf täglichen Opfer verrichtend, mit dem Lesen des Veda
beschäftigt und der Betrachtung hingegeben zur Reinigung seines
Leibes, zur Vermehrung seiner Wissenschaft und Frömmigkeit, zur
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